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Intersektionale Perspektive auf sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten




Als Feminist*innen müssen wir mit tiefer Besorgnis erleben, dass der Planet zunehmend militarisiert und zunehmend in kriegerische Rhetorik und in tatsächliche kriegerische Gewalt verfällt. Und das ist kein Wunder, denn wo Patriarchat ist, da ist und bleibt Krieg immer um die Ecke.


Gleichzeitig ist diese Wahrnehmung sehr eurozentrisch, denn für all jene, die tagein tagaus im (neo)kolonialen System weißer Vorherrschaft unterdrückt sind, ist Krieg alltäglich – und war nie weg.

Aktuelle Berichte von der UN Human Rights Commission & von UN Action against CRSV (conflict related sexual violence), die am 19. Februar 2024 und am 04. März veröffentlicht wurden, behandeln die sexualisierte Gewalt, die während des Angriffs der Hamas am 7. Oktober 2023 gegen israelische Frauen verübt wurde, sowie die sexualisierte Gewalt, die im Verlauf der israelischen Besatzung der palästinensischen Gebiete regelmäßig gegen Palästinenser*innen verübt wird, zuletzt auch während der Invasion des Gaza-Streifens durch die IDF. Die Reporte sind Anlass, auch anlässlich des internationalen feministischen Kampftages, JEDE sexualisierte Gewalt in ALLEN bewaffneten Konflikten zu beklagen!


Sexualisierte Gewalt ist in bewaffneten Konflikten ein trauriger Standard, den zu durchbrechen nur gelingen wird, wenn gleichzeitig auch bewaffnete Konflikte als Form der Konfrontation überwunden werden. Die Forschung in den westlichen Staaten zu dem Phänomen begann erst seit ca. 1970.

Monika Hauser, Gynäkologin und Gründerin von medica mondiale e. V. in 1992 – eine Organisation, die auf sexualisierte Gewalt in Kriegen spezialisiert ist - spricht von einem Kontinuum der Gewalt. Geschlechterspezifische Gewalt gäbe es immer, im Krieg aber verschärfe sich die Situation.


Täter:innen finden sich auf allen Seiten der Kriegsparteien. Zu den vorwiegend männlichen Tätern zählen Soldaten, Paramilitärs und Polizisten, aber auch Zivilisten und Personal von Hilfsorganisationen. Sexualisierte Kriegsgewalt wird in der Regel durch Männer ausgeübt. Vergewaltigungen werden von Vorgesetzten toleriert, teils organisiert, teils strategisch eingesetzt und angeordnet.


Bei der Beweisführung sollen neue Mindeststandards gelten. Dafür hat die britische Regierung im April 2022 gemeinsam mit Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad den sogenannten „Murad-Kodex“ eingeführt – ein globaler Kodex zur Bekämpfung konfliktbedingter sexualisierter Gewalt. Dieser soll helfen, Beweise von Überlebenden und Zeugen zeitnah, sicher und effektiv zu sammeln. Denn allzu oft habe die Anzeige sexualisierter Gewalt negative Folgen für die Überlebenden, sagte Nadia Murad bei der Vorstellung des Kodex.

Mit der 2008 verabschiedeten Resolution 1820 erklärte der UN-Sicherheitsrat, dass Vergewaltigung und andere Formen sexualisierter Gewalt Kriegsverbrechen sind und fordert die UN-Mitgliedsstaaten unter anderem auf, sexualisierte Gewaltverbrechen während und nach bewaffneten Konflikten zu erfassen. 


Für die betroffenen FLINTA* ist der erfahrene Missbrauch traumatisch, er wirkt sich zerstörerisch auf ihre Beziehungen zu den eigenen Kindern und Partner*innen aus und auf das Verhältnis zu ihrer Gemeinschaft, Gruppe oder weiteren Familie.

Und gesellschaftlich wirkt sexualisierte Gewalt im bewaffneten Konflikt als System auch zerstörerisch. Betroffene sind stigmatisiert, werden als „verunreinigt“ gemieden, oder es wird ihnen die Schuld für die Tat übertragen, weil sie „Veräter*innen seien“. Das Stigma und das Narrativ der Ehrverletzung und der Schändung überträgt sich auf die Gesellschaft und die Betroffenen werden oft isoliert oder ausgestoßen.


Sexualisierte Gewalt im Krieg hat weniger mit dem vermeintlich unkontrollierbaren Bedürfnis nach sexueller Befriedigung zu tun. Die FLINTA* unter der gegnerischen Zivilbevölkerung zu vergewaltigen, bedeutet, in das Zentrum des Feindes im wahrsten Sinne des Wortes „einzudringen“. Überall da, wo Krieg auch rassistisch motiviert ist und die eine Gruppe die als Feind konstruierte Gruppe entmenschlicht, ist sexualisierte Gewalt eine grausame Methode, um diese Entmenschlichung zu manifestieren. Einerseits wird die sexualisierte Gewalt relativiert, weil die Feinde 'keine Menschen sind' und somit auch vermeintlich ‚nicht leiden wie Menschen‘. Und andererseits ist sexualisierte Gewalt im Krieg sehr mit Bedeutung aufgeladen, weil sie eine Botschaft an „den Feind“ sendet.

Die Penetration als Symbol der Reproduktion bedeutet dann, dass der Körper der Opfer ‚für die eigene Reproduktion benutzt und missbraucht‘ wird. Tief verwurzelte patriarchale Denkmuster werden wachgerufen und reaktiviert. Krieg ist deswegen IMMER vor allem ein Krieg gegen FLINTA* und ein Krieg auf dem Rücken und durch die Körper von FLINTA*.


Leider stehen die Zeichen insbesondere seit der Jahrtausendwende auf Krieg. Statt weniger Waffen und Rüstung und Armeen, fließen mehr Mittel in den Aufbau von militärischen Drohkulissen und Abschreckungs-Arsenalen als jemals in der Geschichte. Und überall da, wo Krieg tobt, wo Waffen sprechen, wo militärische Gewalt herrscht statt Dialog und Verständigung, da stirbt zuerst die Wahrheit und da fällt jede Ordnung wieder tiefer hinein in patriarchale Muster, die zu überwinden auch in Zeiten der Abwesenheit von bewaffnetem Konflikt schon so schwierig ist.


In dieser Welt ist und bleibt auch aus militaristischer Sicht die Gebärmutter der Ort, an und in dem nicht einfach nur Kinder, sondern an und in dem zukünftige Soldat*innen und Vertreter*innen der eigenen, als besser und als überlegen konstruierten Gruppe produziert werden. Die Gebärmutter gehört in der Logik des Krieges dem Staat. Und im kapitalistischen System weißer Vorherrschaft gehört die Gebärmutter der Nation im Sinne von "Volk". Die FLINTA* mit Uterus wird zum Symbol der Reproduktion des "Volkes". Wer sie kontrolliert, kontrolliert "das Volk". Und in dieser Rolle sind die Körper von FLINTA* mit Uterus immer auch ein Kriegsschauplatz. Ihren Körper zu beherrschen, bedeutet nicht nur, sie individuell zu verletzen und zu demütigen, sondern es bedeutet, den Feind zu demütigen und ihn zu kontrollieren.


In der „Hitze des Gefechts“ – vor allem auch des Gefechts über die Wahrheit und um die Deutungshoheit – stellen die Konfliktparteien, die Medien, die Politik und auch die Zivilgesellschaften und ihre Organisationen die grausame Tatsache der sexualisierten Gewalt in den Dienst der größeren Agenda, welche den bewaffneten Konflikt bestimmt. Dabei geraten leider die Opfer der Gewalt aus dem Blick. Denn sie sind es, die ihr gesamtes zukünftiges Leben mit dieser Erfahrung werden umgehen müssen. Sie sind es, die Anerkennung, Zuwendung, Heilung, medizinische und psychologische Versorgung und im besten Falle Entschädigung und eine entschlossene Verfolgung der Täter*innen brauchen. Hierfür ist transnationale Kooperation essentiell, die UN hat eine Kommission extra für diese Zwecke eingerichtet, die UN Action against SVAC (Sexual Violence in Armed Conflict) – Die Kommission hat Untersuchungen durchgeführt zu SVAC in Kolumbien, Kongo, Sudan, Ukraine, Guinea, Myanmar, Guatemala, Syrien, Äthiopien, Tigray, Somalia, Mali, Kamerun, Jemen, in den kurdischen Gebieten gegen Kurd*innen und Yazidis, sowie zuletzt in Israel beim Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und in den besetzten Gebieten durch israelische Polizei, durch die IDF und durch andere israelische Institutionen seit 1967.


Regina Mühlhäuser, Historikerin am Hamburger Institut für Sozialforschung und Mit-Koordinatorin in der International Research Group »Sexual Violence in Armed Conflict« kritisiert, dass bis heute meist nur sexualisierte Gewalt von Rebellengruppen und Milizen in Asien, Südamerika oder Afrika untersucht werde. Staatliche Akteure, bzw. das Verhalten von Militärs westlicher Länder, würde bislang eher vernachlässigt. 


Hier ist es wichtig, eine dekoloniale Analyse einfließen zu lassen. Denn auch wenn- bzw. Gerade WEIL - die Forschung zu sexualisierter Gewalt in bewaffneten Konflikten erst in den 1970ern startete, drängt sich die Frage auf: was war denn da vorher los? Vorher war die Welt geprägt von Kolonisierung. 84% der globalen Landmasse, der Regionen und indigenen Menschen waren dominiert durch Europäer*innen aus Ländern, deren Fläche zusammen gerade mal 8% der globalen Landmasse betrug. Und diese Kolonisierung folgte rassistischen Mustern, Theorien und Ideologien weißer Vorherrschaft.


Die koloniale Unterwerfung und Ausbeutung der Welt durch eine Reihe von Kolonialmächten (Spanien, Portugal, UK, Frankreich, Belgien, Holland, Deutschland, Italien) traf natürlich stets auf entschlossenen bis verzweifelten indigenen Widerstand. Aber die europäischen Eindringlinge setzten ihre Dominanz mit Gewalt und mit Waffen immer wieder durch. Die Kolonisierungen waren und bleiben somit per definition bewaffnete Konflikte. Diese Konflikte, welche ständige Symptome der kolonialen Herrschaft waren, waren dementsprechend auch geprägt von sexualisierter Gewalt der Kolonisierer gegen die Kolonisierten.


Die Forschung interpretiert den sexualisierten Missbrauch indigener FLINTA* während der Kolonisierung als symbolische Form der Besitznahme auf einer Stufe mit Annektion von Land und Erbeutung von Ressourcen.


Ein Ergebnis dieser grundsätzlich menschenverachtenden Praxis, war von Anfang an die Projektion dieser oft sehr grausamen und enthemmten Taten und dieser Praxis auf die Opfer. Daraus entstand die Konstruktion der vermeintlich ständig lauernden Gefahr durch den ‚sexuell unbeherrschten Schwarzen, arabischen, indigenen etc. Mann‘. Dieses Narrativ ist ein Weg-Projizieren der eigenen Schuld und es ist ein Narrativ, das über Jahrhunderte kultiviert wurde, etabliert wurde, konditioniert wurde und welches heute weiterlebt.

Mit anderen Worten:

Die Forschung zu sexualisierter Gewalt im bewaffneten Konflikt hat unter anderem deswegen erst seit den 70er Jahren eingesetzt, WEIL sie vorher die eigene allgegenwärtige sexualisierte Gewalt der weißen Kolonisierer*innen hätte untersuchen müssen. Nicht umsonst fällt der Start der Forschung dazu im Westen zeitlich mit dem formellen Ende der Kolonisierung des sogenannten globalen Südens zusammen.


Nur allzu oft war dabei die weiße Frau* im kolonialen System Komplizin in der sexualisierten Gewalt und allgemein in jeglicher Gewalt gegen die kolonisierten Frauen*. Bis heute mangelt es an Solidarisierung weißer selbsternannter Feminist*innen mit BIPoC FLINTA* im sogenannten globalen Süden und die Kompliz*innenschaft ist viel zu selten Teil des weißen feministischen Diskurses.


Die Präsenz von sexualisierter Gewalt im bewaffneten Konflikt vorrangig in Gebieten, Regionen und Ländern des sogenannten globalen Südens darf daher nicht zu der Schlussfolgerung verleiten, dass jene Gruppen besonders gewalttätig seien und besonderen Hang zu sexualisierter Gewalt hätten – es muss eher gefragt werden, warum bewaffnete Konflikte genau dort so präsent und alltäglich sind. Und dies ist eben nicht zu trennen von der kolonialen Geschichte und ihrer ausbeuterischen Kontinuität. Es ist nicht zu trennen von dem andauernden bewaffneten Kampf um die Ressourcen in diesen Regionen, die von westlichen Konsum-Wachstums-Volkswirtschaften dringend nachgefragt sind und somit auch nicht zu trennen von dem bewaffneten Kampf um die Territorien, in denen diese Ressourcen vorkommen. Die Waffen, mit denen dort gekämpft wird, sind meistens Waffen, die aus westlichen Ländern an alle Konfliktseiten geliefert werden. Und die so geschwächten Regierungen und regionalen Milizen konkurrieren um Land und Ressourcen untereinander und sind geneigt, diese Ressourcen billiger an den Westen abzugeben.


Bestrebungen dieser Länder, lokale Ressourcen zu nationalisieren, wurden von westlichen Staaten stets unterbunden (Iran, Kongo, Venezuela, Burkina, Mali, Guinea, etc), wenn nötig durch Mord an den Politiker*innen (Lumumba in Kongo, Sankara in Burkina, u.v.m.). Krieg ist daher immer auch ein Ergebnis unerbittlicher wirtschaftlicher Interessen – das Leid von FLINTA* durch diese bewaffneten Konflikte werden dabei in Kauf genommen – eben auch und gerade von den westlichen Staaten.

Der Kongo ist wohl das dramatischste Beispiel für diesen Mechanismus. Der Krieg um den Zugang zu dem Mineral Coltan, zu Gold und zu vielen anderen Rohstoffen hat in den letzten Jahren über 6 Mio (!) Opfer gefordert, 10.000de Frauen und Kinder wurden Opfer sexualisierter Gewalt.


Natürlich gab es reichlich regionale Kriege und bewaffnete Konflikte auch zwischen und innerhalb von europäischen Mächten, unter anderem den 30 jährigen Religions-Krieg (1618-1648). Stephanie Fabian schreibt dazu in „Zwischen Tabu und Beutelogik - Vergewaltigungen im Dreißigjährigen Krieg“: „Bedeutsam scheint aber zu sein, dass in diesem Zusammenhang Frauenkörper durch die männlich-soldatischen Gewaltakte zum Kommunikationsmedium zwischen Männern gemacht wurden, um Machtverhältnisse auszuhandeln, Über- beziehungsweise Unterlegenheit und analog dazu eben Männlichkeit oder Entmännlichung zuzuschreiben.“ Und: „Andererseits zeigt sich daran gleichermaßen die Funktion von Vergewaltigungen als Spielregel des Krieges, wurde doch den Söldnern durch das im Kriegsbrauch verankerte Recht auf Beute und die in Aussicht gestellte Plünderung einer belagerten Stadt implizit, auch ohne konkrete Verbalisierung, Gewalt gegen Frauen wie selbstverständlich zugestanden. Die Möglichkeit, in dieser Eroberungssituation straflos zu vergewaltigen, war Teil der Belohnungs- und Beutelogik der Söldner und wurde ihnen von Männern höherer militärischer Ränge auch eingeräumt oder zumindest von diesen stillschweigend geduldet.“


Es kann leicht auf heute übertragen werden und es braucht nicht allzu viel Fantasie, wenn wir schlussfolgern, dass alle diese Funktionen sexualisierter Gewalt im bewaffneten Konflikt heutzutage um ein Vielfaches verstärkt wirken durch die Möglichkeiten der medialen Verbreitung der Information.  

Diese Funktionen sexualisierter Gewalt im bewaffneten Konflikt deuten darauf hin, dass es schlicht keinen einzigen solchen Konflikt gibt, in dem sexualisierte Gewalt nicht passiert. Im zweiten Weltkrieg wurden bspw. über 800.000 Vergewaltigungen und sexuelle Gewaltvorfälle durch die Rote Armee und durch die Alliierten rekonstruiert. Die Zahlen über sexualisierte Gewalt der Wehrmacht, SA und SS sind laut Forschung schwierig zu rekonstruieren, sicher erfasst sind 5.349 Fälle, aber die Forschung geht von einem sehr hohen Vielfachen aus, insbesondere sexualisierte Gewalt gegen Jüd*innen in den verschiedenen Lagern.


Eine Welt, die Krieg nicht überwindet, bleibt immer patriarchal und in einer Welt, die Patriarchat nicht überwindet, wird immer wieder Krieg geführt werden und bewaffneter Konflikt entstehen. Krieg fällt nicht vom Himmel. Im Krieg geht es am Ende immer um Macht und Einfluss, um Ressourcen und Geld – und es geht immer auch um Männlichkeit oder um das, was damit verbunden wird, was als männlich konstruiert ist. In den Diskursen, in der Kommunikation, in den Medien, im Netz und in den Parlamenten wird auch die Sprache kriegerischer und konfrontativer. Die Sprache ist der erste Ort, wo Krieg normalisiert wird und direkt dahinter kommt die Aneignung der Frau - natürlich als cis-Frau imaginiert - die in einer kriegerischen Kultur die vielen Rollen und Funktionen übergeholfen bekommt, hinter denen ihre Individualität komplett verschwindet.


Die sexualisierte Gewalt, die Teil der Logik von Krieg ist und bleibt, muss dagegen von jeder einzelnen FLINTA* Person individuell erlebt und verarbeitet werden. Darin bleibt sie meistens auf sich gestellt und im Stich gelassen.


Die Selbstbestimmung muss gegen diese Rollen und Funktionen behauptet und ständig neu erkämpft werden. Und für eine feministische Analyse muss klar sein: Krieg kann nie feministisch sein, eine feministische (Aussen)politik muss sich IMMER um die Beilegung von bewaffneten Konflikten bemühen und es kann nie darum gehen, Kriege „frei von sexualisierter Gewalt“ zu führen – denn diese gibt es nicht – sondern Krieg und bewaffneten Konflikt als solches zu überwinden.

 

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