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Der Kongo - der Massenmord, der unter dem Radar passiert

Warum die Gewalt gegen die Menschen im Kongo ein zutiefst feministisches Thema ist



Ca 300 Aktivist*innen, geschätzte 90% darunter Schwarze Menschen, demonstrierten am Samstag, den 23. März 2024 in Berlin für das Ende des Genozids in Congo und für die Befreiung des Congo von Unterdrückung, von Gewalt, von Fremdbestimmung und von der Plünderung der Ressourcen durch westliche, multinationale Unternehmen. 

Seit 1996 - in fast 30 Jahren - hat der Konflikt im Osten der Demokratischen Republik Kongo mehr als sechs Millionen Tote gefordert.

 

Die eindrücklichste Botschaft des Protestes ist aber die Klage über die allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber des Genozids im Kongo - auch innerhalb der antirassistischen Diskurse und innerhalb des antirassistischen Aktivismus.




Während die Absichten und Anstrengungen positiv zu bewerten sind, Kämpfe gegen Armut, Kolonialismus und Kapitalismus , gegen Rassismus und weiße Vorherrschaft, gegen Patriarchat und für queerfeminismus und natürlich gegen Faschismus und Krieg zu verbinden, führt auch innerhalb dieser Bewegungen die allgegenwärtige Macht des rassistischen Normalzustandes dazu, dass insbesondere Schwarze Menschen vom Kontinent vergessen werden. Da medial auch so gut wie gar nicht darüber berichtet wird – was angesichts des Ausmasses an Gewalt und Vernichtung an sich bereits Ausdruck weißer Vorherrschaft ist und Ausdruck der anhaltenden Entmenschlichung Schwarzer Menschen – ist es auch für diasporische kongolesische Aktivist*innen schwer, zu mobilisieren und die angemessene Aufmerksamkeit für das Leiden vor Ort herzustellen.

 

Und was in antirassistischen Bewegungen an Leerstellen besteht und wirkt, besteht auch in der antikapitalistischen Bewegung, in Arbeitskämpfen in Deutschland und Europa, aber ganz besonders auch in der feministischen Bewegung.

 

In mehrheitsgesellschaftlich-feministischen Diskursen a.k.a. weißen feministischen Diskursen ist Gewalt gegen Afrikaner*innen besonders dann skandalös und interessant, wenn es um FGC geht oder um die Verheiratung von Frauen vor der Volljährigkeit. Auch die Beobachtung, dass afrikanische Mädchen zu früh Kinder bekommen und die Schule abbrechen, besorgt westliche, weiße Frauenrechtler*innen – mehr als die eigene Verstricktheit in koloniale Kontinuitäten und die eigene Kompliz*innenschaft in den kolonialen wirtschaftlichen Verhältnissen, die zu eben genau dieser Gewalt führen!



Was diese Themen auch gemeinsam haben, ist das Feinbild: Der als dunkel, unzivilisiert, patriarchal, verbrecherisch, gefährlich, unbeherrscht und geradezu unmenschlich konstruierte indigene, afrikanische oder arabische Mann, auf den die eigenen patriarchalen Muster und die eigene patriarchale Gewalt und Dominanz projiziert wird.

 

Als intersektionale Feminist*innen müssen wir eine körperliche Selbstbestimmung radikal einfordern, welche immer bei dem eigentlichen Leben und Überleben ansetzt und das gesamte Spektrum im Blick hat. Gleichzeitig beachten wir die wirkenden Machtsysteme und sehen, wer auf welchen Machtachsen wie profitiert oder benachteiligt ist und dosieren unsere Beiträge entsprechend.

Als Europäer*innen tun wir gut daran, vor allem jene Armut zu bekämpfen, die von hier aus in den globalen Süden exportiert wird und wir tun gut daran, die politischen Ursachen dieser Armut sichtbar zu machen, sie zu durchdringen und zu kennen und dieses Wissen zu verbreiten. Denn diese Armut ist für die aktuelle ökonomische Ordnung nur allzu willkommen. Sie ermöglicht die Ausbeutung, die Entrechtung, die Plünderung im sogenannten globalen Süden. Sie schwächt den Widerstand und sie vereinzelt die Betroffenen zu Kämpfer*innen um das nackte eigene Überleben.



Die Überbleibsel kolonialer Hegemonie und Dominanz, wie der IWF, die Weltbank, der UN-Sicherheitsrat, die WTO, die G7 und G20, der Franc CFA, aber auch jüngere Wirtschafts-Abkommen wie Mercosur, TTIP, die Economic Partnership Agreements mit den karibischen, afrikanischen und asiatischen Regionen – alles erhält die westliche Hegemonie aufrecht. Alles das sorgt für die ungestörte Fütterung der Rohstoff-hungrigen weißen Mehrheitsgesellschaften mit Mineralien, Energieträgern, mit Roh- und Genussstoffen für die Industrie und den direkten Konsum.



 Der Kongo ist das Paradebeispiel für alles das. Die Katastrophe begann mit der sogenannten „Kongo-Konferenz“, die hier in Berlin von Ende 1884 bis Anfang 1885 stattfand und in deren Verlauf König Leopold von Belgien den Kongo zugesprochen bekam – sozusagen als Privatbesitz. Bis 1908 – 23 Jahre lang! – beging dieser eine König einen Massenmord an der Bevölkerung.

Ca. 20 Millionen Indigene Kongoles*innen wurden während dieser Zeit getötet – Entweder dadurch, dass sie in der Kautschuk-Ernte zu so harter Arbeit gezwungen wurden, dass sie sehr schnell starben, oder durch Mord, weil sie nicht schnell genug arbeiteten. In Europa war 1888 der luftgefüllte Gummireifen erfunden worden... Der Kautschuk - ein Erzeugnis aus der Kautschuk-Liane im Kongo - wurde heiß begehrter Rohstoff, die Kongoles*innen wurden gezwungen, ihn zu schneiden.

Wer die vorgegebene Kautschuk-Quote nicht erfüllte, bekam als Abschreckung die Hände abgehackt oder wurde ermordet. Oder beides. Auch Kinder.

Die Frauen erlebten in der Zeit der belgischen Herrschaft vor allem sexualisierte Gewalt durch die Kolonisatoren und deren lokale indigene Schergen.

Der Mord an Patrice Lumumba (am 17. Januar 1961), der nach der Erlangung der Unabhängigkeit 1960 die fantastischen Ressourcen zu nationalisieren plante, um so den Kongoles*innen ein würdiges Leben und einen angemessenen Lebensstandard zu verschaffen, war symptomatisch für die Art und Weise, wie der sogenannte Westen / globale Norden sich die billigen Zugänge zu den Ressourcen fortan sichern würde – damals und bis heute.



 Während bei der Demo am 23. März sehr wenige PoC und weiße Personen aus der etablierten antirassistischen Bewegungsarbeit in Berlin anwesend waren, haben die Redner*innen dieser Demo für die Befreiung des Kongo nicht vergessen, alle anderen mitzudenken und auch mitzuerwähnen, die Unterdrückung und Ausbeutung erleben – egal auf welche Art und Weise.

 

Für unsere feministische intersektionale und dekoloniale Arbeit bedeuten diese Überlegungen und diese Analyse, dass wir zwei allgemeine Forderungen als zutiefst feministische Forderungen in den Vordergrund der feministischen Agenda und auch der feministischen Diskurse stellen müssen:

-         die Etablierung von Reparationsleistungen (reparatory justice)

-         Bewegungsfreiheit für alle überall (Art 13 UN Menschenrechts-Charta muss erweitert werden) bzw. dieselbe Bewegungsfreiheit für alle Menschen unabhängig von Herkunft, Status und Naionalität oder Zugehörigkeit

 

Reparative Gerechtigkeit muss einen sachlichen Ausgleich für Jahrhunderte der Kolonisierung, der Genozide und der Vernichtung, der Erniedrigung und der Ausbeutung herbeiführen. Dazu gibt es bereits Forschung und Wissenschaftliche Beiträge. Besonders muss hier eine gendersensible Analyse dafür sorgen, dass die spezifischen Erfahrungen von FLINTA* - darunter auch sexualisierte Gewalt und andere geschlechtsspezifische Demütigung und Entmenschlichung – Beachtung finden und in allen zukünftigen Vereinbarungen zentral berücksichtigt werden.

 

Bewegungsfreiheit ist das Bindeglied zwischen

a)   der Zerstörung von Lebensgrundlagen durch die Traumata durch koloniale Gewalt und Unterwerfung und durch die de facto Vernichtung von Land, Wasser, Flüssen und Böden und

b)  der anhaltenden und auch noch „in den Kinderschuhen steckenden“ Krise an den Außengrenzen der EU. Die zukünftigen Flucht- und Migrationsbewegungen werden ein Vielfaches der gegenwärtigen Bewegungen ausmachen und alle Versuche, diese Bewegung durch restriktive Grenzregime und durch Kriminalisierung von Flüchtenden zu unterbinden, läuft ultimativ auf parallel dazu zunehmende militärische Gewaltanwendung hinaus. Die EU und somit auch Deutschland können nur durch die Etablierung von 'gleicher Bewegungsfreiheit für alle und überall' einen Impuls setzen, der Verteilungsgerechtigkeit und gleiche Zugänge für alle überall herstellt und garantiert. Und das gilt natürlich insbesondere für FLINTA*.

 

Reparationen und Bewegungsfreiheit sind elementare feministische Forderungen und wir laden alle ein, die sich als Feminist*innen verstehen, diese mit zu vertreten und darauf zu bestehen, wo immer und wann immer wir unsere Stimme erheben!

 



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